Sie gehören zu den schnellsten Segelgefährten überhaupt, erreichen locker Endgeschwindigkeiten jenseits der 30 Knoten und erleben derzeit wieder einen regelrechten Hype. Die Rede ist vom Segelboot mit den zwei Rümpfen: dem Katamaran. Einer der ersten deutschen Sportkatamarane wurde jetzt dem Rostocker Schifffahrtsmuseum übergeben.
Aktuell sind die rasanten Doppelrumpfboote in Deutschland und international wieder in aller Munde: etwa durch den America's Cup mit dem neuen AC 45, die stark aufstrebende Extreme 40's oder die (fast) wieder olympische Tornado-Klasse.
Bislang so gut wie unbekannt war dagegen der Fakt, dass einige der ersten Katamarane im deutschen Segelsport in Kühlungsborn bzw. Rostock konstruiert und an der hiesigen Ostseeküste erfolgreich gesegelt wurde; lange bevor vergleichbare Projekte anderswo publik wurden. Obwohl das Internet zahlreiche Infomationen zur Geschichte der Katamarane bereit hält, war jedoch kaum Antwort auf die Frage nach den Anfängen der Segel-Katamarane in Deutschland zu bekommen - bis heute.
Vor diesem Hintergrund klingt es (zumindest bis zum Beweis des Gegenteils) fast wie eine kleine Sensation:
Kam der erste Katamaran in der deutschen Segelgeschichte etwa aus Mecklenburg?
Ausgegraben wurde die Story durch Dr. Lutz Werner, Leiter der Lokalredaktion Bad Doberan der Ostsee Zeitung. Er hat beim Segelclub Kühlungsborn recherchiert, Zeitzeugen befragt und erste Informationen dazu veröffentlicht.
Demnach wurde der erste funktionstüchtige deutsche Sportkatamaran am 01.07.1960 durch den Sportfreund Fritz Thorwirth senior aus Kühlungsborn getauft. Genau genommen standen im Sommer 1960 gleich drei Schiffe bereit, die zuvor an der Schiffbau-Fakultät der Universität Rostock unter der Leitung von Dipl.-Ing. Kurt Debus entwickelt und gebaut wurden. Maßgeblich beteiligt waren zudem die Kühlungsborner Segler Karl-Heinz Lindemann, Heinz Havemann, Rudi Sellner, Hans Kötz, Jochen Westendorf und Fritz Thorwirth Senior.
Der Bedarf entstand Ende der 50er Jahre am Ostseestrand von Kühlungsborn, als die frisch gegründete dortige Segelsportgruppe sich regelmäßig vor erhebliche Probleme gestellt sah, mit ihren schweren Holzjollen durch die auflaufenden Brandungswellen unbeschadet auf die Ostsee und wieder zurück zu gelangen.
Um die historische Dimension richtig einordnen zu können, muss angemerkt werden, dass die DDR-Ostseeküste zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend frei zugänglich war und die Restriktionen gegen die Wassersportfreunde an der Ostsee wie überall in der DDR quasi frühestens mit dem Mauerbau Mitte 1961 einsetzen. Bis dahin bestanden die Aufgaben der „Grenzbrigade Küste“ lediglich in der „Grenzüberwachung und in erster Linie zum Schutz gegen Verletzungen der Küstenterritorialgewässer durch westliche Sport- und Militärfahrzeuge". [Q]
Die Kühlungsborner Segelsportler konnten sich also nach ihrer Gründung 1959 noch mindestens zwei Jahre mehr oder weniger unbehelligt damit beschäftigen, mit welcher einer Art Segelgefährt sich die tückische Meeresbrandung am Besten überlisten lies. Dabei hörten sie von der Neuentwicklung eines Segelbootes mit zwei Rümpfen. Das vermutlich englische Konzept entsprach perfekt ihrem Bedürfnis nach einem leichten und seetüchtigen Boot für das Segeln vom offenen Strand.
Einer der Zeitzeugen von damals ist der inzwischen 72jährige Reinhold Bartel. Der langjährige Vorsitzende des Segelclub Kühlungsborn erinnert sich an die Entstehungsgeschichte : "An der Schiffbaufakultät der Universität Rostock fanden wir wissenschaftlichen 'Beistand' und so wurde unter der Leitung von Dipl.-Ing Kurt Debus intensiv an einem ersten Katamaran-Entwurf getüftelt. Leider konnte dieser Prototyp, der aus Plaste gebaut war, nicht in Serie gehen. Die Beschaffung des Materials war schlichtweg unmöglich.".
Von der Idee grundsätzlich überzeugt, ließen sich die Kühlungsborner Segler jedoch nicht entmutigen und legten mit Unterstützung des Rostocker Uni-Teams um Debus und viel Improvisationstalent in kürzester Zeit gleich drei Sperrholz-Katamarane auf Kiel (vgl. Risszeichnung des "K3" von Dipl.-Ing. Debus).
Wie weit sie ihrer Zeit voraus waren, ahnten die Sportfreunde damals wohl kaum, als sie ihre ungewöhnlichen Segelobjekte im Sommer 1960 erstmalig in Betrieb nahmen und am 26.08.1960 sogar offiziell die behördliche Abnahme erhielten. Kurz gesagt hatten sie mit dem Bau der Katamarane deutsche Segelsportgeschichte geschrieben!
Zahlreiche Dokumente wie Fotos, Konstruktionszeichnungen und Berichte sind in den Archiven der Uni Rostock sowie den Unterlagen der Beteiligten aus jener Zeit erhalten. Insgesamt wurden damals wohl mindestens fünf Katamarane gebaut. Sie erhielten die Bezeichnungen "K1" bis "K3", wobei der "K3" sozusagen in "Kleinserie" ging und in dieser Version jene drei in K'born getauften Boote entstanden (Reg.Nr. bzw. Segelzeichen K3, K4 und K5).
Die geschichtsträchtigen Sperrholz-Zweirümpfer waren ursprünglich für eine Lebensdauer von 10 Jahren konzipiert, kamen am Ende jedoch stolze 47 Jahre zum Einsatz. Reinhold Bartel selbst gehörte zu jenen Kühlungsborner Sportfreunden, die noch im Jahr 2007 zuletzt auf den für drei Personen zugelassenen Ur-Katamaranen gesegelt sind.
Ihrer Zeit weit voraus: Die Katamarane "K4" und "K5" wurden 1959/60 für das Segeln vom offenen Strand vor Kühlungsborn entwickelt. Die leichten Sperrholz-Kats ließen sich problemlos von 2 Mann durch die tückische Brandung auf die Ostsee und wieder zurück auf den Strand segeln. (mit freundlicher Genehmigung des SCK, foto cc by RostockSailing.de)
Aufgrund ihrer überzeugenden Segeleigenschaften wurden die Sportboote auch auf Regatten wie der Warnemünder Ostseewoche eingesetzt. So ist u.a. überliefert, dass der Kühlungsborner Katamaran "K3/3" mit Steuermann K.-H. Lindemann und Vorschoter R. Sellner den 2. Platz auf der Internationalen Ostseeregatta 1964 vor Warnemünde belegte.
Reinhold Bartel erinnert sich auch noch gut an die kuriose Begebenheit beim ersten Einlaufen nach der Regatta in Warnemünde, als sich skeptische Segelfunktionäre sofort auf die Suche nach Antriebsmotoren machten. Vor dem Wind liefen die Kats unglaublich schnell und das war verdächtig!
Daten und Fakten zu den ersten Segel-Katamaranen aus Kühlungsborn ("K3"-Version):
- Bauzeit: 1959/60
- erster Einsatz: Sommer 1960
- Taufe: 01.07.1960
- Behördliche Abnahme: 26.08.1960
- Länge 5,20 m
- Breite 2,50 m
- Tiefgang 0,20 m
- Hochtakelung 17 qm
- Material Sperrholz
- Zugelassen für 3 Pers.
- Tauglichkeit: unsinkbar
- letzte Segler: T. Höppner & R. Bartel im Juli/August 2007
Soweit für's erste zu einem bislang unbekannten Stück deutscher Segelsportgeschichte. Alle Angaben sind ohne Gewähr, jedoch ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich die Entwickung der Ur-Kats in etwa so zugetragen hat. Zu groß ist die Anzahl der offensichtlich noch existenten Unterlagen, als dass bei intensiverer Recherche nicht auch noch zusätzliche spannende Aspekte zu Tage treten dürften. Sobald das der Fall ist, wird davon hier auf Rostock Sailing sicher zu lesen sein.
Ansatzpunkte für die weitere Erforschung des Themas gibt es reichlich: So segelte fast zeitgleich oder kurz danach auch mindestens einer der Kat-Versionen in Rerik (vermutl. "K1" oder "K2"?), wo es Sportfreunde mit ähnlichen Ambitionen und Problemstellungen in Bezug auf das Segeln am offenen Strand gab. Nach Auskunft eines beteiligten Seglers, Heinz Bremer aus Rerik, gab es damals auch schon erste Versuche mit Spinaker und durchgelatteten Segeln. So soll sich der "K1" unter Spi ziemlich zickig verhalten haben, weil er ständig in der Welle unterschnitt. Auf den "K3's" dagegen hat das Spi-Segeln bedingt durch die größere Breite wohl schon weitgehend problemfrei funktioniert. Ebenfalls noch zu klären: Wie und wann entwickelte sich das Zweirumpfboot in Westdeutschland?
Zum Verbleib der drei Kühlungsborner Kats äußert der Vereinsvorsitzende Dr. Peter Menzel: "Ein Boot haben wir verschrottet, eines harrt noch in unserer Bootshalle der Restaurierung und einen Katamaran haben wir dem Schifffahrtsmuseum Rostock geschenkt." Der Reriker Kat "K1" segelte nach Auskunft von Heinz Bremer noch Mitte der 70er Jahre, bis das Sperrholz so marode war, dass das Boot abgewrackt wurde.
Fast unbeachtet von der Öffentlichkeit wurde in der vergangenen Woche einer dieser ersten Katamarane (Version "K3") nach kompletter Restauration (insgesamt 650 Stunden) durch die BQG Neptun an das Rostocker Schifffahrtsmuseum übergeben. Ein Besuch des Museums lohnte sich sicher auch vorher schon. Jetzt jedoch umso mehr, ist das Traditionsschiff in Schmarl damit doch um einen bisher unbekannten Meilenstein der deutschen Sportgeschichte reicher geworden.
Für die Zukunft bewahrt: Mit dem "K3" ist ab sofort ein Stück deutsche Segelgeschichte im Rostocker Schifffahrtsmuseum zu bestaunen. Um ihn nach der langwierigen Komplettrestauration auf das Traditionsschiff in Rostock-Schmarl zu bekommen, wurde der Katamaran in zwei Hälften zerschnitten. Im Bild Rico Kulms (vorn) und Reinhard Jaap von der BQG Neptun bei den letzten Lackarbeiten im Januar 2011 (Foto copyright Lutz Werner, Ostsee Zeitung)
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Ein großer Dank geht an dieser Stelle Dr. Lutz Werner, Leiter der Lokalredaktion Bad Doberan der Ostsee-Zeitung, der die einmalige Geschichte dieser legendären Boote erstmals an das Licht der Öffentlichkeit (und insbesondere ins Internet) gebracht hat. Danke auch an Reinhold Bartel und Dr. Peter Menzel aus Kühlungsborn sowie Heinz Bremer aus Rerik, die mit ihren Informationen maßgeblich an der Entstehung dieses Beitrags beteiligt waren. Last but not least danke an Yvonne Oesterreich, Pressesprecherin des Segelclub Kühlungsborn, für die unkomplizierte Bereitstellung der z.T. zuvor unveröffentlichten Bilder und Konstruktionsszeichnungen.
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Weitere Links & Infos zum Thema:
- 07.07.11 | b2b-deutschland.de: Ältester deutscher Katamaran verwittert in Kühlungsborn
- 08.07.11 |mz-web.de: Schwer, schnell und unsinkbar
- t.b.c.
Eine äußerst interessante Geschichte! Ein Besuch auf Rostock-Sailing sorgt immer wieder für Kurzweil. Danke Martin!
AntwortenLöschenMast- und Schotbruch Wolfram