Hoffnungslos überladen und garantiert nicht seetauglich, dafür umso auffälliger zeugt diese "schwimmende Litfasssäule" von den Anfängen des Marketings mit Hilfe von Seglern und ihren Booten. Das undatierte Foto aus unserem RS-Archiv ist aus verschiedensten Blickwinkeln so interessant wie amüsant.
"Slightly overcrowded": Von den 67 jungen Damen dürften die wenigsten zur Stammbesatzung gehören. Dafür war aber der Spaßfaktor wohl mindestens ebenso groß wie das "Perutz Photo"-Logo im Segel. Den Sponsor hat's gefreut, bekam er doch für sein maritimes Engagement eine PR-Leistung allererster Kajüte!
(Foto RS-Archiv, cc by RostockSailing.de)
Nicht nur dass sich der Pfeifchen schmökende Skipper in Hemd und Weste mal eben eine Incentive-Truppe von 67(!) gackernden "Sonntags-Seglerinnen" plus Schiffsjungen auf sein ca. 40 Fuß langes Fischerboot laden ließ. Das lustige Bild vom "Photo-Boot" hat noch weit mehr zu erzählen.
Gemessen am Zeitpunkt, zu dem die Aufnahme vermutlich entstanden ist, wirkt vor allem das nahezu perfekt gebrandete Segel wie ein zukunftweisendes Projekt. Ungefähr sechs Meter 'fliegendes' Unterliek und der steile Winkel des Achterlieks lassen auf eine Gaffeltakelung schließen, die in vertikaler Richtung mal locker 8-10 Meter messen dürfte und damit eine Großsegelfläche von mindestens 50-70 Quadratmeter ergibt.
Wer schon mal versucht hat, ein Logo maßstabgerecht auf eine so große Fläche zu projezieren bzw. dauerhaft aufzutragen, der hat eventuell eine Vorstellung davon, wie aufwändig so ein "Branding" selbst heute mit modernsten Hilfsmitteln sein kann.
Von der Backbordseite schimmert das gleiche Logo nochmal durch, was wohl bedeutet, dass der Auftraggeber sich einen dauerhaften Marketing-Effekt von seinem Firmenlogo auf einem Segelboot versprochen hat (und das Segel nicht nur für ein paar Werbeaufnahmen gepimpt und hochgezogen wurde).
Tja; von wann ist die Aufnahme? Da lässt sich wohl nur spekulieren. Die See-BG zumindest dürfte damals noch nicht so aufmerksam kontrolliert haben wie in heutigen Zeiten... Anhaltspunkte für das Alter des Bildes könnte eventuell der Bootsname liefern. "Gorch Fock" ist ja momentan wieder in aller Munde, wenn auch nicht mehr ganz so positiv besetzt wie in früheren Zeiten...
Drei Jahre bevor Johann Wilhelm Kinau (so hieß der Schriftsteller Gorch Fock eigentlich) 1916 in der Seeschlacht am Skagerak fiel, erschien sein bedeutendstes Werk "Seefahrt ist not", in dem das Leben der Hochseefischer auf Finkenwerder in heroisierender Weise beschrieben wird. Bis zum Zweiten Weltkrieg kam in Norddeutschland praktisch kein lesender Junge an diesem Buch vorbei.
In dieser Zeit - nämlich 1933 wurde auch der berühmte Windjammer "Gorch Fock I" in Dienst gestellt, der nach dem Krieg als Reparationszahlung an den "großen Bruder" ging, Jahrzehnte unter dem Namen "Towaritsch" segelte und seit ein paar Jahren wieder in Stralsund liegt.
Stark anzunehmen, dass bei dem ganzen Hype um "GoFo" in dieser Zeit auch unzählige kleinerer Segelboote auf seinen Namen getauft wurden. Ein weiteres Indiz liefert das Logo über dem "Photo"-Schriftzug, das auf dem Bild zwar angeschnitten, aber zweifellos dem fotochemischen Unternehmen "Otto Perutz Trockenplattenfabrik" bzw. "Perutz-Photowerke" aus München zuzuordnen ist.
Die Firma Perutz war gerade vor dem zweiten Weltkrieg hochgradig innovativ und führend u.a. beim Belichtungsprozess von Fotos sowie beim Herstellen hochauflösender Feinkornfilme (u.a. für Leica). Aus dieser Zeit, also aus den 20er bis 30er Jahren sind z.B. noch alte Emaille-Schilder mit eben jenem Original-Logo erhalten. Offensichtlich hat Herr Perutz auf dem Höhepunkt seiner Unternehmensgeschichte in nicht unerheblichem Maße auch in Werbung investiert.
Gut möglich also, dass er (bzw. seine "Marketingabteilung") in diesem Zuge auch auf die PR-Wirksamkeit eines metergroßen Schriftzuges auf einem Segelboot gesetzt hatte, zumal das PR-Medium "Segeln" damals noch ziemlich neu und überraschend gewesen sein dürfte. Ein echter "Eyecatcher" würde man heute sagen und damit ein Effekt, der aus dem modernen Segelsport gar nicht mehr wegzudenken ist. Wenn wir Segler einem Sponsor etwas unverwechselbares bieten können, so sind dies vor allem XXL-Branding-Flächen, die sich auf dem Wasser spektakulär in Szene setzen lassen, insbesondere natürlich mit Hilfe der "Photographie"! Heute sieht das dann z.B. so aus:
Modernes Segelbranding XXL: Der Open 60 "VIRBAC PAPREC 3" von Jean Pierre Dick (FRA) führt momentan beim Barcelona World Race und liefert seinem Recycling-Sponsor so spektakuläre Foto-Motive und wertvolle Präsenz in allen Medien (photo copyright Yvan Zedda, Barcelona World Race)
Zurück zum "Perutz-Boot". Bleibt noch die Frage nach dem Ort der Aufnahme bzw. dem Heimathafen unseres fröhlichen "Ausflugdampfers". Alles deutet auf ein rustikales Fischerboot in Küstennähe hin, wie es in den verschiedensten Variationen an Nord- und Ostseeküste gebaut und gefahren wurde. Bis heute ist es dabei üblich, dass alle großen und kleinen Fischerboote ein sogenanntes "Fischereikennzeichen" am Bug führen. In diesem Fall könnte das Kürzel "AL" eine derartige Bedeutung haben.
Dafür kämen dann eigentlich nur zwei deutsche Standorte in Betracht. Zum einen segeln in Althagen auf dem Darss (u.a. dank der Holzbootfreunde) noch immer kleine traditionelle "Netzboote" munter durch die Gegend, die unter Bezeichnungen wie "AL 01" oder "AL-S 40" gelistet sind.
Wahrscheinlicher jedoch ist wohl die zweite Variante, der die "Liste der Fischereikennzeichen in Deutschland" zugrunde liegt. Danach weist das "A" als erster Buchstabe auf alle Heimathäfen in "Preußen westlich der Weser" hin, wobei dann "AL" für die Stadt Leer in Ostfriesland steht. OK, das ist zwar wieder mal reine Spekulation, macht aber durchaus Spaß...!
Sachdienliche Hinweise zum "Perutz"-gesponserten Segelboot nehmen wir (wie immer) gern entgegen. Insbesondere wären dabei Anhaltspunkte zum Schiffstyp aufschlussreich. Wo segel(te)n evtl. ähnliche Konstruktionen, also offene, gaffelgetaktelte Einmaster mit fliegendem Unterliek und ca. 30-40 Fuß Wasserlinie??? Die Netzboote vom Bodden jedenfalls sind i.d.R. deutlich kleiner und Zeesboote abgesehen vom Besanmast wohl etwas zu groß...
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Übrigens: Wer heute an einem ähnlichen Branding-Projekt für sein Boot bastelt, d.h. ein Logo in XXL dauerhaft in sein Segel bringen möchte, sollte ruhig mal bei diesem aufstrebenden Rostocker Unternehmen reinschauen und sich ein Angebot erstellen lassen. Die Jungs (und Mädels!) knien sich richtig rein und können inzwischen schon einige interessante Referenzen vorweisen. Aber das ist wieder eine andere Geschichte...
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... und hier geht's zu Teil 2 der Story "Das Perutz-Boot in Kühlungsborn" ....
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