17.01.2012

Flügelrigg und Korkenzieher: Eissegeln anno 1938

Die deutschen Eissegler sitzen in diesen Tagen wieder auf heißen Kohlen. Klingt paradox, aber die Jungs sind nun mal heiß auf Eis. Doch Gefrorenes ist vorerst nicht in Sicht, jedenfalls nichts worauf sich segeln ließe. 

Gut denkbar also, dass die Deutschen Meisterschaften 2012 mal wieder nach Polen ausweichen müssen. Quasi back to the roots, denn dort begann vor fast einem Jahrhundert eine (oder die?) Geschichte des europäischen Eissegelsports. Ein Filmtipp mit sagenhaften historischen Aufnahmen:



Irgendwo tief im baltischen Osten stand die Wiege der "XVer Eintypklasse" (oder einfach "15er"). In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde hier bereits heftigst um die Wette eisgesegelt. Sagenhaft nicht nur die Aufnahmen selbst, sondern auch unter welchen Bedingungen sie entstanden sind. Heutzutage klebt man sich die GoPro auf die Nase und düst los. Alles fix gemacht, der Akku hält ewig und wiegen tut's auch nichts.

Aber damals? Kälte, Gewicht, Bedienbarkeit - was für ein Aufwand! Trotzdem oder gerade deshalb wuchert dieser Streifen mit flotten und flott gemachten Szenen von regattierenden Eisyachten. Inklusive Kenterungen und Korkenzieher - einfach Klasse, dieses Material... 

Der Film "Tanzende Kufen" entstand 1938 im Rahmen der 12. Deutschen Eissegelwoche. Gesegelt wurde auf dem Schwenzaitsee bei Angerburg im damaligen Ostpreussen. Heute heißt der Flecken Swiecajty bei Wegorzewound und gehört zur polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren. Nach wie vor ein ideales Eissegel-Revier.

"Monotype XV": Die historische Eisyachtklasse der "Fuffzehner" feiert 2012 ihren 80. Geburtstag und segelt nach wie vor um die Wette, so wie dieses niederländische Schmuckstück (NED 30). Der Schlitten gehört zu Ernest Spaas. Schöner Name ;o)  Die Fotos entstanden bis auf eins im Jahr 2008 auf dem tschechischen Lipno-See... (der dank geht jeweils an die kollegen!  foto cc by RostockSailing.de)


Wenn man die schwarzweißbetagten Filmaufnahmen aus der Hochburg des damaligen deutschen Eissegelsports sieht, wundert die heutige Dominanz unserer polnischen Nachbarn im DN-Schlitten kaum. Allen voran Siebenfachweltmeister Karol Jablonski, der außerdem gerade wieder an einem neuen Speed-Weltrekord feilt...

15er Eintypklasse (eissegeln.de)
Während der DN-Schlitten Anfang der 30er Jahre in den USA erfunden wurde (DN steht für Detroit News), entwickelten die baltischen Eissegler mehr oder weniger zeitgleich die im Film porträtierte "XV Eintypklasse" (engl. "Monotype XV"). Eine klassische Eisyacht als Doppelsitzer. Sehr viel wuchtiger als der Ami-Schlitten, aber nicht minder spektakulär und wohl auch eine ganze Ecke robuster.

Die Fünfzehner feiern in diesem Jahr ihr 80-jähriges Bestehen. 1932 hatte der Este Erik von Holst (1894 - 1962) die XV Eisyacht mit 15 m² Segelfläche als Eintypklasse konstruiert. Er war auch 1928 Gründer der EEU (Europäische Eissegel Union). 1937 konstruierte von Holst die 12 m² Eisyacht als kleineren "Volkseissegler".

Trotz ihres hohen Alters hat die Klasse noch lange nicht fertig. Zur Europameisterschaft 2011 in Schweden gingen immer noch 33 Piloten aus sieben Nationen an den Start! Die Monotype-XV-Eisyachten besitzen sogar eigene Wegerechts-Regeln.

Cockpit im 15er (cc by rostocksailing.de)
In "Tanzende Kufen" wird Ostpreussen als die "Heimat des Eissegelns" bezeichnet und die Einstellungen scheinen das zu belegen. Danach entwickelten sich die sportlichen Eisyachten als Freizeitvariante der alten Fischerschlitten (im Video bei 1:11 min). Die Eisfischerei war damals insbesondere am kurischen Haff und auf den Seen der Masuren weit verbreitet und schon die Dorfjugend segelte in kleinen wendigen Nachbauten, den sogenannten Piraten, um die Wette.

Monotype XV (cc by rostocksailing.de)
Den daraus entstehenden Wunsch nach weniger schweren und speed-optimierten Eisyachten bedienten schließlich die Eintypklassen wie die 15er und die etwas kleineren, einfach zu bedienenden 12er.

Aus heutiger Sicht erscheinen die 2-Mann-Holzflitzer ziemlich wuchtig. Allein sind sie kaum zu handeln, aber damals störte das niemanden. Bei den historischen Eissegelevents war ohnehin das gesamte Volk auf den Beinen. In der gefilmten Wettfahrt stehen gut hundert Starter bereit, so dass sogar in zwei Gruppen gesegelt werden musste. Beim Aufriggen eines Bootes halfen nicht selten zehn Mann und mehr mit.

15er Eisyacht (cc by rostocksailing.de)
Und wer glaubt, das starre Flügelrigg sei eine Innovation des letzten America's Cup, schaut sich einfach mal die Szenen ab 3:20 min an: Schon 1938 experimentierten die erfinderischen Jungs mit festen Doppelflügeln herum, wohl wissend, dass ein starres Profil die Windkraft deutliche besser ausnutzt.Ob sie dabei auch ahnten, wie weit sie Ihrer Zeit voraus waren?

Mit 10 Minuten Länge ist die Eissegel-Reportage zwar lang aber niemals langweilig. Kurze schnelle Schnitte und spektakuläre Szenen taten damals wie heute ihre Wirkung. Jede Menge Action, Kenterungen und der sogenannten "Korkenzieher" (bei 8:48 min; heute würde man wohl "Threesixty" sagen) wurden von den Kamera-Männern auf Zelluloid gebannt, die bei den Aufnahmen offensichtlich genau so viel sportlichen Ehrgeiz  entwickelten wie die Eisbootfarer selbst....


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Besonderer Dank an die Rostocker Eissegelfreunde für den Film-Tipp und die Bilder!

1 Kommentar:

  1. Ich kenne den See sehr gut von den CISM Welt- und Europameisterschaften. Ein super Revier im Sommer auf dem Wasser, sowie im Winter zum Eissegeln. Dort gibt es sehr schöne und preiswerte Quartiere. Schaut mal bei Feriendorf Mamry. Eissegeln der Kick im Sport!

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